Während in Deutschland die Zulassung der elektrischen Tretrollern langsam näher rückt, so haben sich diese in den Großstädten der Welt in kürzester Zeit etabliert. Mal mit mehr, mal mit weniger Liebe. Dieses Jahr zog es mich erneut zur SXSW nach Austin, Texas. Überraschenderweise statteten gleich fünf Anbieter die Stadt mit ihren Rollern aus. Zur Freude der Besucher der SXSW, zum Leid der Anwohner. Trotzdem sehe ich für E-Scooter in Austin eine Chance.
Austin ist eine überschaubare Stadt, ohne Mordsverkehr und mit kurzen Distanzen. Klar macht das Sinn hier E-Scooter anzubieten. Und bei der SXSW macht es noch mehr Sinn, weil die Veranstaltungsorte über die ganze Stadt verteilt sind. Sicher: Der Hauptteil konzentriert sich auf die Innenstadt. Aber auch hier gibt es Minidistanzen, für die kein Taxi lohnt.
E-Scooter verdrängen Pedicabs
Normalerweise gab es zur SXSW sogenannte Pedicabs – eine Art Rikscha. Sie machen während der SXSW den Großteil ihres Jahresumsatzes. Normalerweise habe ich die Pedicabs genutzt oder bin gelaufen. Aber den E-Scootern konnte ich natürlich nicht widerstehen. An jeder Ecke standen welche. Das war nicht nur ein Vorteil, denn die Konferenzteilnehmer sind teilweise übermotiviert damit gefahren. Unfälle nicht ausgeschlossen.
Vielleicht ein Grund dafür, dass die Austinites einen Hass auf elektronische Tretroller haben. Sie werfen sie über Zäune, in Flüsse und versuchen sie zu zerstören. Mein Freund Roberto wohnt in Austin. Ich treffe mich mit ihm jedes Jahr auf ein Getränk während der SXSW. Auch er lehnt E-Scooter ab. Er sagt: „Sie kamen aus dem nichts und plötzlich ist alles wie im Wilden Westen: Keiner hält sich an die Verkehrsregeln.“ Kein Wunder, denn die Anbieter geben über die Apps kaum Hinweise oder Verhaltensregeln. Meiner Meinung nach könnte man dies aber einfach ändern, indem die jeweiligen Apps konkrete Anweisungen anzeigen – und zwar nicht ein Mal, sondern beispielsweise bei den ersten fünf Fahrten. Und die dürfte der Nutzer dann erst nach den fünf Fahrten wegdrücken können.
Ein weiterer Grund für das wilde Fahrverhalten der E-Scooter-Nutzer mag sein, dass die Polizei nicht durchgreift. Denen ist es egal, ob man in einer verbotenen Zone, die für die SXSW eingerichtet wurden, mit dem elektrischen Tretroller lang fährt. Verbotsschild hin oder her. Die Polizei stand neben diesen Schildern und weder die noch die Fahrer selbst hat das interessiert. Kein Wunder, dass das wie der Wilde Westen auf die Austinites wirkt.
E-Scooter für die erste und letzte Meile
Trotz allem machen e-Scooter meiner Meinung nach gerade in einer Stadt wie Austin Sinn: Sie sind flexibel für die kurzen Strecken und ergänzen im öffentlichen Nahverkehr Busse und Straßenbahnen. Die Stadtverwaltung von Austin hatte große Ridesharingdienste wie Uber oder Lyft verboten. Stattdessen hatten sie mit RideAustin ihren eigenen, lokalen und gemeinnützigen Ridesharingdienst gegründet. Die Stadt hat aber nicht mit dem texanischen Bundesstaat gerechnet. Er setzte letztendlich in Austin die freie Marktwirtschaft durch, die alle Anbieter zulassen muss – auch jetzt anscheinend die für E-Scooter.
So kommt es, dass bei der SXSW nun mindestens fünf Anbieter von elektronischen Tretrollern das Straßenbild dominierten. Natürlich können nicht alle fünf überleben. Vielleicht werden es maximal zwei, auf lange Sicht wohl eher nur einer sein. Das hat man beim Carsharing gesehen. Car2Go und DriveNow funktionierten wirtschaftlich wohl nicht eigenständig, denn sie fusionieren nun zu einem Anbieter.
E-Scooter im Test: Mein Favorit enttäuscht
Natürlich wollte ich mich durch die E-Scooter-Anbieter in Austin durchtesten. Jump war eigentlich mein Favorit. Der Dienst gehört zu Uber und ich bin bereits treuer Kunde. Also keine zusätzliche App auf dem Smartphone. Es kam noch hinzu, dass die Entsperrung von einem Dollar pro Fahrt entfiel, die sonst praktisch alle anderen Anbieter verlangen. Aber leider haben von sechs Scootern, die ich testen wollte, nur zwei funktioniert. Der Akku war anscheinend unter 20 Prozent. Eine Information, die mir in der App nicht angezeigt wurde. Erst bei Nachfrage beim Stand von Jump wurde ich darüber aufgeklärt. Meiner Meinung nach dürften diese Roller dann aber gar nicht erst in der App als verfügbar angezeigt werden.
Die nächste Enttäuschung war Bird. Ich hatte mein Startguthaben aufgebraucht und dann wollten sie eine Vorkasse in Höhe von zehn Dollar. Sie wollen wohl wirtschaftlich werden und viele kleine Kreditkartenabbuchungen vermeiden. Mit der Vorkasse haben sie mich in diesem Moment als Kunden verloren. Denn ich weiß ja nicht, ob ich diesen Betrag verfahren werden oder in Zukunft wieder einen E-Scooter von Bird in einer anderen Stadt nutzen werde.
Während meiner Zeit auf der SXSW habe ich die meisten Fahrten mit Lime gemacht. Die gefühlt auch die größte Präsenz hatten. Ich konnte sie jederzeit problemlos buchen und kannte das System und den Anbieter bereits aus anderen Städten. Samstag bin ich um 8:30 Uhr vom Austin Convention Center mit dem Lime Roller zum Scholz Garten gefahren, um das Spiel des FC Bayern zu gucken. Eine Strecke, die ich im Jahr zuvor noch zu Fuß laufen musste, weil mir das Taxi dahin zu teuer war und Pedicabs um diese Uhrzeit noch nicht auffindbar waren. Und auf dem Rückweg waren wir schon zu Dritt auf Lime Scootern unterwegs.
E-Scooter im Mobilitätsmix
Mein Fazit: Ein E-Scooter-Angebot wird nicht eigenständig funktionieren können. Es muss in ein bestehendes Mobilitätsangebot integriert werden. Uber hat das mit Jump und Lyft mit seinem gleichnamigen Angebot bereits gut umgesetzt. Denn kein Mensch wird fünf Apps für fünf unterschiedliche Anbieter nutzen. Wenn ich aber schon die Uber-App für Autofahrten habe, brauche ich keine zusätzliche für E-Scooter mehr.
Und so schön das Dockless Konzept ist, es ist auch leider das größte Problem. Wenn ich den Roller nicht zu einer Ladestation fahren muss, kann ich ihn überall abstellen. Kling erstmal gut, bringt aber Chaos in die Straßen – und Hass in die Herzen der Austinisten. Werde ich aber gezwungen den E-Scooter zu einer Docking-Station zu bringen, ist es zu unflexibel. Eine gute Lösung bietet Lyft. Das Unternehmen hat sich mit Geschäften zusammengetan und dort Parkplätze eingerichtet. So werden die Tretroller kontrolliert abgestellt und lokale Geschäfte erhalten Kontakt zu neuen, potenziellen Kunden. Ein Happy-Happy-Situation für alle Seiten.